Obstanbau, wie er früher einmal war
Die Entwicklung des Obstbaus mit Kulturformen in Deutschland geht auf die Römer zurück (1), die bereits im zweiten und dritten Jahrhundert nach Christus ihr gartenbauliches Wissen entlang des Grenzwalls Limes (2) verbreitet und den Handel und Anbau von Wein und (edlen) Kulturäpfeln praktiziert haben.
Der 549 Kilometer lange Obergermanisch-Raetische Limes ist das längste Bodendenkmal Europas und seit 2005 UNESCO Weltkulturerbe. Als Grenzwall zwischen dem Römischen Reich und Germanien verläuft er durch die heutigen Bundesländer Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Bayern und durch Hessen - nur wenige Autominuten von unserem Firmensitz entfernt - und kann auch heute noch besichtigt werden.
Nach dem Fall des Römischen Reiches lebten Obstkultur und Normen im Mittelalter zum Teil fort. Danach wurde der Obstbau in Deutschland und Europa maßgeblich durch die Gesetze der damaligen Herrscher, wie Karl dem Großen (768 bis 814 König des Fränkischen Reichs), durch die Arbeit der Klöster und das Wissen der Mönche sowie durch den höfischen Obstbau beeinflusst. Wesentliche obstbauliche Inspirationen gelangten dabei von Frankreich nach Deutschland.
Bis vor rund 350 Jahren fand der Obstbau in Hausnähe statt, wie zuvor bei den Griechen und Römern. Erst nach Ende des Dreißigjährigen Krieges (um 1650) gelangten Obstbäume dann allmählich raus aus der Dorfgemarkung, über Feldwege und Landstraßen als einzeln stehende Obstbäume (Streuobst) in die Landschaft. Als wesentlicher Verbreitungsimpuls in Hessen kann "die Entwicklung zum Land-Allee-Gärtner" unter Landgraf Ludwig um 1739 gesehen werden (2). Der Streuobstbau ist in Anbetracht der obstbaulichen Ursprünge in Deutschland also eine relativ junge Entwicklung.
Dennoch haben Streuobstwiesen gerade auch in Hessen Tradition. Das ländliche Bild entlang der Wege und Äcker war im 19. Jahrhundert geprägt von einzeln stehenden, hochstämmigen Obstbäumen unterschiedlicher Sorten. Regionale Obstsorten wurden zur Selbstversorgung gepflanzt, während die Wiesen von Tieren beweidet oder Ackerbau betrieben wurde. Die imposanten Bäume standen in großen Abständen und tauchten alljährlich im Frühjahr die Landschaften in ein pastellfarbenes Blütenmeer und verströmten ihren feinen Blütenduft.
Hochstämmige Bäume stehen in großem Abstand zueinander verstreut auf der Wiese. Ökologisch besonders wertvoll sind Streuobstwiesen mit unterschiedlich alten Baumbeständen und möglichst vielen unterschiedlichen Gattungen und Sorten.
Die jüngere Geschichte des Landschaftsobstbaus
1800
Seit Anfang des 19. Jahrhunderts waren einzeln und verstreut (solitär) stehende Obstbäume, sogenanntes Streuobst, in ländlichen Regionen entlang der Verkehrswege weit verbreitet. Nutzte man die teils bewaldeten Flächen (Baumäcker) vorher gleich mehrfach - für den Getreide- und Gemüseanbau, die Gewinnung von Holz und den Anbau von Obst - so entstanden nun mehr und mehr reine Obstwiesen auf der Landkarte.
Die Ernte der imposanten Obstbäume auf solchen Streuobstwiesen war ein bedeutendes Ereignis, deckte es doch einen wesentlichen Teil der Einkünfte der Obstbauern ab. Tafelobst wurde für den Verzehr im Winter eingelagert, Äpfel und Birnen als Konserven eingekocht und Marmeladen hergestellt. Kelterobst hat man zu Saft oder Wein verarbeitet und Überproduktionen mancherorts zu Obstbränden destilliert. Obst hatte noch einen Wert.
1864
Mit der Entwicklung der Pasteurisierung 1864 entstanden unzählige Keltereien, war es doch möglich geworden, die frischen Säfte durch kurzes Erhitzen haltbar zu machen.
1930-1960
Um 1930 erreichte die Streuobstwiesenkultur in Deutschland ihren Höhepunkt. Mit "rund 1,5 Millionen Hektar in Deutschland und wohl über fünf Millionen Hektar in Europa" war Streuobstbau landschaftsprägend (1). Erst die Flurbereinigung in den 1950er Jahren brachte die Wende: Landwirtschaftliche Flächen wurden zunehmend industrialisiert. Ländlicher Grundbesitz wurde "nach neuzeitlichen betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zusammengelegt, wirtschaftlich gestaltet und durch andere landeskulturelle Maßnahmen verbessert (...)" (§ 1 Flurbereinigungsgesetz (FlurbG) von 1953).
Der um 1960 in Holland entwickelte, auf Effizienz und Ertrag optimierte Plantagenanbau, beschleunigte den ländlichen Wandlungsprozess. Streuobstkulturen als Anbauform wichen den typischen Monokulturen, wurden in Plantagenanbau umgewandelt oder verschwanden vollends. Damit hielt auch der sogenannte Spritzrahmenplan Einzug - eine genaue Vorgabe für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln im Plantagenobstbau.
1970
Die damit einhergehende Überproduktion von Obst führte zum einem massiven Preisverfall. Gleichzeitig wurde die Sortenvielfalt reduziert. Kannten die alten Römer vor mehr als 2000 Jahren bereits mindestens 30 Apfelsorten, sollten Konsumenten seinerzeit nur noch drei (Leitsorten) zur Wahl haben.
Heute
Heute findet man Streuobstwiesen auch in Hessen nur noch selten. Die Bestände flächig ausgebildeter Streuobstwiesen sind stark zurückgegangen. Neben unserem schönen Taunusvorland sind größere Flächen nur noch im vorderen Odenwald, der Wetterau und im Werratal zu finden.
Im Vergleich zum modernen, auf Ertrag optimierten Plantagenobstbau, gilt der extensive Landschaftsobstbau auf Streuobstwiesen nämlich als ineffizient. Die oft Jahrhunderte alten knorrigen Obsthochstämme passen einfach nicht ins Bild maschinenoptimierter Monokulturen.
Streuobstwiesen stehen in Hessen heute auf der "Roten Liste" und werden als stark gefährdeter Lebensraum eingestuft. Denn gerade die sorgfältig gestaltete Kulturlandschaft in Form von Streuobstwiesen bringt die größte Artenvielfalt in unseren Breitengraden hervor. Unzählige gefährdete Tier- und Pflanzenarten finden hier einen Lebensraum.
Und nicht nur das: Der Landschaftsobstbau auf Streuobstwiesen lässt durch extensive Bewirtschaftung auch ohne den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Insektiziden besseres Obst heranreifen, schafft größere Sorten- und Geschmacksvielfalt und ermöglicht einen angemessenen Umgang mit dem lebenden Baum. Auch aus diesen Gründen sind Streuobstwiesen überaus schützenswert.
Es ist Zeit, der Monotonie in Obstregalen und der Dominanz des Plantagenobstanbaus wieder Obstqualität, Sorten- und Aromenvielfalt und Diversität in allen Facetten aus Streuobstwiesenanbau entgegenzusetzen. Und einen bewussten und nachhaltigen Umgang mit der Natur.
Verwendete Quellen:
(1) NABU, Den Römern sei Dank - Zur historischen Entwicklung des Streuobstanbaus Streuobst-Historie: Den Römern sei Dank - NABU
(2) Josef Weimer, Vom Wildapfel zum Kulturapfel, 5. erweiterte Auflage (2023)
In der Chronik der Gemeinde Auringen (hier hat Taunus Brand seinen Sitz) beschreibt der Bürgermeister das ländliche Treiben um 1900 folgendermaßen:
1. Liebliches Dörfchen, die Au tut Dich ringen, Herrliche Heimat sei stets mir gegrüßt. Traulich zunächst dich Obsthaine umschlingen Und dann ein Waldkranz das Bild rahmend schließt. (...)
2. Wenn in dem Frühling der Winter verronnen, Täler und Höh'n sich bekleiden mit Grün, Wiesen und Bäume von Sonne umsponnen, Rings um das Dörfchen ein einziges Blühn. Singende Vögel, froh spielende Kinder, Fröhliches Treiben und Jubelgetön, Dann muss es klar und deutlich erscheinen: "Du, liebe Heimat, wie bist du doch schön!"
4. Wenn dann der Herbst kommt und spendet die Gaben, Erdentsprossend durch sonnigen Schein. Neigende Bäume mit Obst schwer beladen Laden zur Ernte der Farbenpracht ein. Wagen um Wagen bringt spät und bringt frühe Schätze des Herbstes in Keller und Haus. Du, liebe Heimat, du lohnest die Mühe, Streuest den Segen der Arbeit jetzt aus.
(August Ruf, 1898-1917 Bürgermeister der Gemeinde Auringen)
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